Warum „NichtMeinTatort“?


50 Jahre Tatort - nicht ohne uns!



Feministische und intersektionale Kritiken von Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen, Kamerafrauen*, Schauspieler*innen, Journalist*innen  und anderen Autor*innen aus Deutschland zu 50 Jahren Tatort

Die ARD zeigt seit dem 26. Juni 2020 „herausragende Klassiker aus 50 Jahren „Tatort“: eine Zeitreise durch die bundesrepublikanische Gesellschafts-, Fernseh- und Krimigeschichte“. Auf der Seite des Ersten Deutschen Fernsehens heißt es weiter: „Denn der Tatort war und ist vor allem eines: nah dran an der Lebenswirklichkeit mit seinen Fällen, seinen Ermittlertypen, den handelnden Personen und vor allem den Regionen, in denen er spielt.“

Wir von der Initiative NichtMeinTatort fragen: Wie „nah dran an der Lebenswirklichkeit“ unserer (post-)migrantischen Gesellschaft ist der Tatort wirklich? Gibt es Diversität vor und hinter der Kamera? Aus welcher und wessen Perspektive wurde und wird hier erzählt? 

Sind die Kommissar*innen wirklich die Held*innen unseres gesellschaftlichen Alltags? War der Tatort nicht eher schon immer ein Ort, an dem ein oft verzerrtes und einseitiges Bild der deutschen Gesellschaft erzählt wird?  Oder bedeutet „lebensnah“ hier die imaginierte homogene Lebensrealität vor allem von weißen heterosexuellen Männern und Frauen widerzuspiegeln? 

Wir erwarten von dem immer noch quotenstärksten fiktionalen Format des deutschen Fernsehens mit einer Einschaltquote zwischen 7- 10 Millionen Zuschauer*innen, dass auch wir Frauen* und BIPoC uns darin wiedererkennen können.

Darüber hinaus halten wir es für wichtig, dass gerade nach Vorfällen wie „Stammbaumforschung“, den Morddrohungen an die Kabarettistin Idil Baydar und unaufgeklärten Todesursachen in Polizeigewahrsam auch rassistische Polizeigewalt in Deutschland in der wichtigsten Krimireihe Deutschlands thematisiert werden. Rassismus als strukturelles Problem in der Polizei, der Politik, dem Justiz- und Sicherheitsapparat und dem Verfassungsschutz darf auch im Tatort nicht ausgeblendet werden.

Wir fordern im Sinne des im deutschen Grundgesetz verankerten Bildungsauftrags des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ein inklusives und gleichzeitig zukunftsweisendes filmisches Erzählen im Hinblick auf Gendergleichstellung und Diversitätsbewusstsein. Gerade fiktionale Formate haben doch das Potential, alternative und empowernde Lebensrealitäten zu entwerfen. Das Publikum könnte damit zu mehr sexismus- und rassismuskritischem Denken und Handeln inspiriert werden.

Die Initiative Tatort Drehbuch schrieb im Jahr 2019 einen Brandbrief und einen offenen Brief an die Intendanz der ARD. In beiden forderte sie eine formatübergreifende Drehbuch-Quote von 50/50 bis 2021. Das ist bis heute von den verantwortlichen Entscheidungsträger*innen nicht umgesetzt worden.

Im Diversitätsbericht des Bundesregieverbands wird festgehalten, dass 2018 lediglich 6,1% der Bücher für Tatort und Polizeiruf von Drehbuchautorinnen und 93,9% von männlichen Kollegen geschrieben wurde. Regie führten 2018 nur 18,2 % Frauen und Männer 81,8 %. 2019 führten beim Tatort nur 2% Frauen die Kamera. Aktuell wird durch die Initiative Vielfalt im Film auch eine Umfrage zu Vielfalt und Diskriminierung vor und hinter der Kamera durchgeführt.

Wir Frauen* und BPIoC, ausgebildete Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen und Kamerafrauen*, Journalist*innen und andere Kreative* wollen gleichberechtigt mitgestalten und erzählen. Nur so kann es eine demokratische, gleichberechtigte, gemeinsame Zukunft geben. 

Die Kritiken auf dem Blog „NichtMeinTatort“, geschrieben von Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen, Kamerafrauen*, Journalist*innen und Schauspieler*innen, nehmen daher die ausgewählten Klassiker der Tatort-Reihe aus feministischer und intersektionaler Perspektive unter die Lupe.

Wir freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit allen Leser*innen, insbesondere mit den Tatort-Redaktionen!

Initiative NichtMeinTatort